Arbeitsminister: Stehen vor einer tiefen Rezession

Hubertus Heil,: „Wir haben mit dem Mittel der Kurzarbeit eine starke, eine stabile Brücke über diesen wirtschaftlichen Abgrund gebaut, um Arbeitsplätze zu sichern. Wir retten derzeit Millionen von Arbeitsplätzen mit diesem Instrument.“

Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, zum Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (Sozialschutz-Paket II) vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2020 in Berlin:

 

Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise sind massiv. Viele Länder auf der ganzen Welt schauen in wirtschaftliche und soziale Abgründe. Ein Blick über den Atlantik zeigt die Dramatik: In den Vereinigten Staaten von Amerika sind in den letzten sechs Wochen 30 Millionen Menschen arbeitslos geworden. 30 Millionen Arbeitsplätze sind in den USA verschwunden.

Ja, auch bei uns in Deutschland stehen wir vor einer tiefen Rezession. Aber wir haben mit dem Mittel der Kurzarbeit eine starke, eine stabile Brücke über diesen wirtschaftlichen Abgrund gebaut, um Arbeitsplätze zu sichern. Wir retten derzeit Millionen von Arbeitsplätzen mit diesem Instrument. Ich finde, das kann hier auch mal gesagt werden –, es ist ein Zeichen der Stärke unseres deutschen Sozialstaats, dass wir das leisten können.

Klar ist aber auch, dass für viele Menschen Kurzarbeit – zumal wenn es länger dauert – mit erheblichen Lohn- und Gehaltseinbußen einhergeht. Wenn man als Beschäftigter das erlebt und gleichzeitig die laufenden Kosten nicht in Kurzarbeit sind, sondern Mieten, Zahlungen, Kredite weiterlaufen, ist das eine erhebliche Belastung für den Lebensstandard von Menschen.

Es ist deshalb richtig und notwendig, dass wir in diesem Bereich etwas tun. Ich bin froh und dankbar, dass wir uns in der Koalition zumindest darauf verständigt haben, das Kurzarbeitergeld für die Menschen, die ganz lange in Kurzarbeit sind, aufzustocken. Konkret – das ist der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen; das ist die Formulierungshilfe, die mit diesem Sozialschutz-Paket einhergeht – werden wir das Kurzarbeitergeld auf 70 beziehungsweise 77 Prozent ab dem vierten Monat und auf 80 beziehungsweise 87 Prozent ab dem siebten Monat erhöhen. Das gilt für alle Beschäftigten, deren Arbeitszeit durch Kurzarbeit um mindestens 50 Prozent reduziert ist.

Man kann sich immer mehr wünschen; andere wünschen sich gar nichts. Ich finde, es ist ein erheblicher Erfolg, dass wir ein deutliches Signal setzen: Die, die jetzt lange in Kurzarbeit sind – das werden nicht alle sein –, werden Unterstützung bekommen.

Es ist auch richtig, dass wir die Möglichkeit eines Hinzuverdienstes zum Kurzarbeitergeld weiter erleichtern. Das Einkommen aus Nebenjobs – egal in welcher Branche; der Begriff „systemrelevant“ wird keine Rolle mehr spielen – hilft den Beschäftigten konkret, im Zweifelsfall auch Lohnlücken aufstocken zu können.

Beide Maßnahmen sind sozial geboten und übrigens auch ökonomisch sinnvoll, weil wir gerade in dieser Phase durch diese Maßnahme einen Beitrag zur Sicherung der Kaufkraft in Deutschland leisten. Auch das hilft der Wirtschaft, weil es Nachfrage sichert.

Es geht zudem darum, dass wir durch eine pragmatische Lösung mithelfen, dass benachteiligte Kinder, die bisher an Schulen, in Tagespflegeeinrichtungen oder in der Kita ein warmes Mittagessen bekommen haben, auch in diesen Zeiten ein Mittagessen über das Bildungs- und Teilhabepaket bekommen, dort, wo Kommunen das anders organisieren.

Lieber Kollege Lehmann, ich danke Ihnen für die Frage. Aber heute ist das Sozialschutz-Paket an der Reihe mit der Kurzarbeit, mit den Regelungen, die ich gleich noch beschreiben werde. Das heißt nicht, dass bei der Grundsicherung alles so bleiben wird, wie es ist. Wir haben den Zugang zur Grundsicherung in dieser Zeit gemeinschaftlich erleichtert, wie Sie wissen. Wir haben den Kinderzuschlag erhöht, was übrigens auch vielen hilft. Und über weitere Maßnahmen wird zu reden sein, gerade für Familien mit Kindern.

Aber ich will Ihnen mal eines deutlich sagen, und das geht an Sie persönlich: Meine herzliche Bitte ist, dass Sie bei dem Thema Schulmittagessen nicht solche Reden halten, sondern sich mal mit den Grünen in Potsdam unterhalten, die ausdrücklich gelobt haben, dass Flexibilität in diesem Bereich ganz wichtig ist. Schulmittagessen für Kinder als Stigmatisierung zu diffamieren – Sie sollten sich überlegen, was Sie an dieser Stelle sagen. Wir sichern die Möglichkeit, Schulmittagessen flexibel zu organisieren.

Herr Lehmann, es geht doch nicht um eine soziale Großtat, sondern es geht um eine pragmatische Lösung. Sie reden an dieser Stelle aus meiner Sicht nicht mit den Kollegen der Grünen beispielsweise in Potsdam und anderswo, die sehr dankbar sind, dass wir es möglich machen, dass das Mittagessen jetzt in dieser Notlage auch über das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes abgerechnet werden kann. Wo leben Sie eigentlich? Es geht um konkrete Hilfen in der Not an dieser Stelle und nicht um Ihre Fantasien.

Sie bringen ein paar Dinge durcheinander. Unterhalten Sie sich doch mal mit Ihrer Parteivorsitzenden Annalena Baerbock, die das in Potsdam begrüßt hat; kann ich Ihnen nur empfehlen. Es gibt schlaue Grüne, und es gibt das, was Sie hier dazu gesagt haben; das will ich einmal feststellen.

Nein, das ärgert mich zutiefst. Herr Lehmann, ich schätze Sie sehr. Aber das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Wir werden über die Grundsicherung zu reden haben. Ich sage noch mal: Die Regelbedarfsermittlung ist auf der Tagesordnung, das wissen Sie ganz genau. Aber jetzt das Schulmittagessen, das mit pragmatischen Regelungen ermöglicht wurde, in ein schiefes Licht zu rücken, das finde ich nicht in Ordnung. Das finde ich wirklich nicht in Ordnung an dieser Stelle! Ich finde, Sie werfen da einiges durcheinander, und ich bitte, einfach mal mit Ihren Kollegen in der Kommunalpolitik Kontakt aufzunehmen; die Telefonnummern sind bekannt.

Was mir auch am Herzen liegt, ist – und das ist in diesem Sozialschutz-Paket auch ein wichtiges Thema –, dass wir in diesen Zeiten dafür sorgen, dass kleine Kinder, die Entwicklungsschwierigkeiten haben, die oft auch Behinderungen haben, auch in und nach der Coronapandemie wie gewohnt in ihren Familien unterstützt werden können. Die Rede ist in diesem Zusammenhang von den interdisziplinären Frühförderstellen.

Wir müssen die sozialen Dienste und Einrichtungen schützen und halten auch damit unsere Gesellschaft zusammen. Ich finde es sehr, sehr wichtig, dass das nicht unter die Räder kommt. Wir kümmern uns eben um die Schwächsten in dieser Gesellschaft, die jetzt besonders leiden, Herr Lehmann, und zwar nicht durch Reden, sondern durch konkretes Handeln. Das können Sie unterstützen; davon bin ich überzeugt.

Ja, wir haben soziale Probleme auch über dieses Paket hinaus zu bearbeiten; das ist doch gar keine Frage. Wir schaffen mit diesem Sozialschutz-Paket II aber einen weiteren Schritt, um die wirtschaftlichen und die sozialen Folgen für die Menschen an dieser Stelle abzufedern.

In der tiefsten Rezession, die wir in unserer Generation bisher erlebt haben, kann sich der deutsche Sozialstaat mit dem, was geleistet wird, sehen lassen. Ich danke allen, die daran mitwirken – übrigens auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter, die das alles im Moment in wunderbarer Arbeit umsetzen.

Sie helfen Menschen und halten nicht nur Reden. Herzlichen Dank.

3 Antworten auf „Arbeitsminister: Stehen vor einer tiefen Rezession“

  1. Die Autoindustrie kann nur noch eines, jammern und um Geld bitten. Was ist mit den anderen Industrien und Wirtschaftszweigen? Der Lufthansa oder der Deutschen Bahn oder gar dne Krankenkassen, die stehen vor einem 14 Milliarden Euro-Ausfall.
    Vielleicht ist es an der Zeit sich zu fragen, ob wir nicht übersättigt sind und es nur ganz natürlich wäre, auszudünnen? Das klingt böse. Aber ein Ausdünnen bei gleichzeitiger Entglobalisierung führt doch dazu, dass die frei gewordenen Arbeitskräfte hier dann produzieren, was wir bislang aus dem Ausland bezogen haben, aber aus Angst vor Seuchen und anderem vielleicht nicht mehr so bald aus dem Ausland beziehen werden? Just saying… :S

  2. Wir stehen vor einer tiefen Rezession, wir müssen uns auf eine neue Normalität einstellen, die Globalisierung zeigt endgültig ihr hässliches Gesicht, der Kapitalismus hat fertig?

    Oder einfach nur: Bitte stellen Sie sich darauf ein, dass es zwei Jahre schwierig wird und dann geht es zurück zu business as usual?

    Werden wi r ja sehen… das letzteWort ist hier noch lange nicht gesprochen und die Rechnung noch nicht geschriebne.

  3. Die Rezession wird kommen und alle gleichermaßen treffen, Arbeitsplätze werden verloren gehen und Unternehmen werden schließen müssen. Die staatlichen Beihilfen sind nur eine Erleichterung für ein paar Monate, in manchen Fällen Wochen. Es ist an der Zeit, über Alternativen zur Rettung der Wirtschaft nachzudenken.

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