Studie auf Basis von SOEP-Daten – Generation der 68er bleibt häufiger auch nach dem Renteneintritt ehrenamtlich aktiv – Anstieg des Engagements geht aber auch auf junge Menschen zurück – Pflicht zum Engagement für bestimmte Altersgruppen wäre nicht zielführend, stattdessen sollten flexible und niedrigschwellige Angebote für alle geschaffen werden, die ehrenamtlich aktiv sein wollen
Fast jede dritte in Deutschland lebende Person ab 17 Jahren – insgesamt also rund 22 Millionen – engagiert sich ehrenamtlich. Der Anteil der ehrenamtlich Aktiven lag im Jahr 2017 bei rund 32 Prozent und damit um fünf Prozentpunkte höher als im Jahr 1990. Sowohl junge Erwachsene als auch Rentnerinnen und Rentner sind zunehmend bereit, beispielsweise in Vereinen, Initiativen oder der Flüchtlingshilfe freiwillig mit anzupacken. Das sind zentrale Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), die auf repräsentativen Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) basiert.
Im Generationenvergleich stechen insbesondere die 68er, also die in den Jahren 1941 bis 1954 Geborenen, hervor. Stärker als vorherige Generationen sind sie auch nach dem Renteneintritt ehrenamtlich aktiv: Betrachtet man die Zeitspanne von drei Jahren vor dem Renteneintritt bis drei Jahre nach dem Renteneintritt, bleiben gut 29 Prozent dieser Generation durchgehend engagiert; knapp 13 Prozent nehmen sogar ein Ehrenamt erstmals oder erneut auf. Diese Werte liegen deutlich über denen der Kriegsgeneration (Geburtsjahrgänge 1908 bis 1930) und der Nachkriegsgeneration (Geburtsjahrgänge 1931 bis 1940).
„Dass sich immer mehr Menschen auch in hohem Alter bester Gesundheit erfreuen, das Bildungsniveau im Durchschnitt steigt und im gesellschaftlichen und politischen Diskurs das Thema Altern viel positiver besetzt ist – all das kommt dem ehrenamtlichen Engagement zu Gute“, sagt Luise Burkhardt, die die Studie gemeinsam mit Jürgen Schupp verfasst hat. „In dieser Entwicklung liegt ein großes Potential für die Gesellschaft, wenn man an die Babyboomer-Generation denkt, die in den kommenden Jahren nach und nach aus dem Erwerbsleben ausscheiden wird“, ergänzt Schupp.
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Starker Anstieg der Engagementquote auch bei SchülerInnen und jungen Erwachsenen
Insgesamt ist die Engagementquote der 60- bis 76-Jährigen in Deutschland in den vergangenen fast 30 Jahren um elf Prozentpunkte auf 33 Prozent geklettert. Selbst unter den mindestens 77-Jährigen ist mit 23 Prozent noch fast jede vierte Person ehrenamtlich aktiv. Doch es sind bei weitem nicht nur die Älteren, die für das steigende ehrenamtliche Engagement in Deutschland verantwortlich sind: Besonders stark zugenommen hat auch der Anteil der ehrenamtlich tätigen Schülerinnen und Schüler ab 17 Jahren – von 27 Prozent im Jahr der Wiedervereinigung auf 46 Prozent im Jahr 2017. Und auch bei den jungen Erwachsenen im Alter von 17 bis 29 Jahren geht der Trend klar nach oben, jede dritte Person dieser Gruppe engagiert sich. Am höchsten liegt die Quote der Engagierten im mittleren Lebensalter (30 bis 59 Jahre).
Die Unterschiede beim Anteil der ehrenamtlich Aktiven zwischen Frauen (30 Prozent) und Männern (33 Prozent) sowie zwischen Ostdeutschland (28 Prozent) und Westdeutschland (33 Prozent) sind über die Jahre deutlich kleiner geworden. Markant sind hingegen die Unterschiede zwischen Stadt und Land: Während in kleineren Kommunen 37 Prozent der Menschen ehrenamtlich aktiv ist, sind es in Großstädten 26 Prozent. Auch der Bildungsabschluss spielt eine Rolle: Je höher dieser ist, desto wahrscheinlicher engagiert sich eine Person ehrenamtlich.
„Dort, wo der Sozialstaat gefragt ist, muss er auch künftig seiner Verantwortung nachkommen. Den vielen ehrenamtlich Aktiven sollte nicht das Gefühl gegeben werden, dass eigentlich staatliche Aufgaben rein aus Kostengründen auf sie abgewälzt werden.“ Luise Burkhardt, Studienautorin
Ehrenamt darf nicht zum „Lückenbüßer“ werden
Die Wertschätzung für Ehrenämter ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, sowohl in der Gesellschaft als auch seitens der Politik. Doch das Potential, dass offenbar quer über alle Altersgruppen hinweg immer mehr Menschen bereit sind, ihre freie Zeit in ein Ehrenamt zu stecken, könnte noch besser genutzt werden, so die Autorin und der Autor. „Wichtig sind Rahmenbedingungen, die es allen Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen oder Herkunft ermöglichen, sich zu engagieren, wenn sie es denn möchten“, so Burkhardt. Eine Pflicht zum Engagement, wie sie mitunter beispielsweise für junge Erwachsene diskutiert wird, sei hingegen nicht zielführend.
Entsprechende Angebote sollten also flexibel und niedrigschwellig sein. Ratsam sei zudem der Ausbau gesellschaftlich sinnvoller Einsatzfelder für Ehrenamtliche, beispielsweise im digitalen Bereich, sowie entsprechende Strukturen und Informationsangebote als Unterstützung, so Schupp. Dabei dürfe, ergänzt Burkhardt, dem Ehrenamt aber keine „Lückenbüßerfunktion“ zufallen: „Dort, wo der Sozialstaat gefragt ist, muss er auch künftig seiner Verantwortung nachkommen. Den vielen ehrenamtlich Aktiven sollte nicht das Gefühl gegeben werden, dass eigentlich staatliche Aufgaben rein aus Kostengründen auf sie abgewälzt werden.“